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Unsere Rechte stehen nicht zur Disposition.

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Dies ist eine Mitschrift der Rede, die ich am 27. Juli 2013 in der Innenstadt von Aachen anlässlich einer Demonstration gegen Überwachung und für Whistleblower hielt. Meine Vorredner waren von ATTAC, der SPD, den Grünen und dem Aachener Friedensverein. Was in dem Video nicht sichtbar wird: es waren ca. 200 engagierte Menschen im Publikum anwesend, die sich für unsere Grundrechte eingesetzt und ihr Demonstrationsrecht in Anspruch genommen haben. Dafür bin ich ihnen dankbar. Ich hoffe, der Rest der Menschen in Deutschland und der Welt zieht irgendwann mal nach. Nichts ist selbstverständlich. Unsere Rechte wurden unter hohen Opfern erkämpft. Es gilt, sie zu verteidigen.

Hier meine Rede:

„Nur kurz zum Wahlkampfgetöse, liebe SPD, liebe Grüne: Ihr habt in den letzten Jahren ein paar Gesetze beschlossen, die genau in diese Richtung gehen, die wir jetzt hier erleben.

Unsere Grundrechte stehen nicht zur Disposition.

Wenn meine Freundin oder mein Freund in meine privaten Nachrichten ohne mein Wissen schaut, reagiere ich nicht nur gereizt, nein: ich reagiere sogar wütend. Ein Gefühl der Kontrolle ist in jeder Beziehung und in jeder Freundschaft schädlich und führt zu Misstrauen und Angst. Dieser Staat und die vereinigten Staaten von Amerika tun das momentan. Aber es gibt für uns das Recht auf informationelle Selbstbestimmung als Teil des allgemeinen Persönlichkeitsrechts und der Menschenwürde.

Ich halte nichts davon, den Schuldigen jetzt länger zu suchen, denn schuld sind wir alle. Wir haben das zugelassen. Wir haben die Falschen gewählt… ah, warte mal. Das höre ich sehr oft. Aber… mich hat doch niemand danach gefragt? Ich hab doch gar nichts zu verbergen. Was sollen die denn schon bei mir finden? Ich gebe euch ein Beispiel. Wenn ihr in die Einkaufsstrasse geht und dort einkauft, dann merkt das Geschäft erst dann, wenn ihr mit euerer Kreditkarte bezahlt, für welche Produkte ihr euch interessiert. Im Internet sehen die Überwacher – egal wo ihr seid – direkt, ob ihr vor dem Schaufenster steht.

Laut einer Umfrage vertrauen 58 Prozent der Deutschen den staatlichen Behörden wenig oder gar nicht mehr, wenn es um ihre persönlichen Daten im Netz geht. Vor zwei Jahren waren das noch 40 Prozent. Ich habe ein grundlegendes Misstrauen in diesen Staat und ich weiss nicht, wie es euch momentan geht.

BND-Zentrale fertiggestellt.
BND-Zentrale fertiggestellt.

Nicht nur ich, sondern eine Vielzahl von Anwälten, Richtern und Staatsanwälten fragen sich momentan angesichts dieser Totalüberwachung: was machen wir hier eigentlich? Sind die Gesetze, die wir haben, relativ? Gelten sie nur eingeschränkt? Wenn die Polizei eine Wohnung durchsucht, gehen wir davon aus, dass ein begründeter Verdacht besteht. Heute reicht eine Direktmessage auf Twitter oder Facebook, die in irgendeiner Form staatskritisch ist. Sind wir in China?

Die Fundamente für diese Überwachung haben Leute wie Otto Schily und Gerhard Schröder gelegt. Dies ist von Schäuble, von Innenminister Friedrich, von Frau Merkel, Herrn Pofalla weitergeführt worden. Diese jetzige politische Kapitulation vor der Macht der amerikanischen und deutschen Geheimdienste auf allen politischen Ebenen muss sehr extrem alarmieren. Weder Regierung noch Opposition haben den Mut, wirkliche Konsequenzen zu fordern. Wenn Politiker sagen, sie wissen nicht genau, was läuft, dann heißt es, die Geheimdienste führen ein Eigenleben. Es ist aber die Uraufgabe der Politik, Probleme zu erkennen und sie zu lösen. Dann muss es auch nicht nur ein Bauernopfer geben, wie den BND-Chef, sondern eine Strukturreform.

Wat soll dat denn, Herr Friedrich.
Wat soll dat denn, Herr Friedrich.

Auf politischer Ebene müssen die Kontrollmöglichkeiten ausgebaut werden, notfalls muss man in die Geheimdienste hineingehen und umfassende Auskunft verlangen. Und es muss den Geheimdiensten klar sein, dass, wer das politische Primat missachtet, fliegt. Ich fordere darüberhinaus die Aussetzung und Prüfung aller jetzigen aktiven Abkommen mit den USA und Grossbritannien. Denn diese Handelsabkommen unterwandern unser Grundrecht.

Eine Demokratie braucht keine Geheimdienste in ihrer derzeitigen Form, denn sie unterlaufen die Prinzipien von Freiheit und Rechtsstaat. Nach den Enthüllungen um NSA und BND muss man von einem „Staat im Staat“ sprechen. Die Geheimdienste beschneiden durch präventive Überwachung unsere Privatsphäre und damit unsere Freiheit.

Die Unschuldsvermutung gilt nicht mehr. Die Bevölkerung wird komplett gerastert. Das ist kein Rechtsstaat mehr, Leute. Deshalb darf auch die Entziehung der Überwachungsbefugnisse für Geheimdienste in Deutschland kein Tabu mehr sein.

Große Firmen wie Apple, Facebook, Google spielen bei der Datenweitergabe an die Geheimdienste eine zentrale Rolle. Diese Firmen müssen verpflichtet werden, private Infos von den Bürgern besser zu schützen. Man kann solche Konzerne per Verordnung dazu bringen, ihren deutschen Nutzern auf einer DIN-A-4-Seite zu erklären, was mit ihren Informationen und Daten passiert – und an wen sie zu welchen Zwecken weitergeleitet werden. Der Bund sollte Verträge mit Datensündern wie Microsoft kündigen, von denen klar ist, dass sie mit Nachrichtendiensten kooperieren. Solche Anbieter müssen bei künftigen Ausschreibungen einfach ignoriert werden. Und Bundeskanzlerin Merkel sollte am besten mit freier Software arbeiten.

Im Unterschied zum US-Programm PRISM handelt es sich bei dem englischen Geheimdienst-Programm „Tempora“ um ein Programm der britischen Regierung. Als Mitgliedstaat der Europäischen Union ist das Vereinigte Königreich von Grossbritannien zur Erfüllung ihrer Verpflichtungen aus dem Lissabon-Vertrag verpflichtet. Dieser gewährt jeder Person „das Recht auf Schutz der sie betreffenden personenbezogenen Daten“. Damit steht die Rechtsgrundlage des Tempora-Programms im direkten Widerspruch mit der auch für das Vereinigte Königreich geltenden Rechtsordnung der Europäischen Union!

Einen schönen Urlaub, Frau Merkel!
Einen schönen Urlaub, Frau Merkel!

Eine derart eklatante Missachtung der europäischen Rechtsordnung muss ein Vertragsverletzungsverfahren zur Folge haben. Hierzu ist die Europäische Kommission als „Hüterin der Verträge“ berufen und auch verpflichtet. Wir Piraten in NRW haben zu dieser Forderung eine Webseite aufgesetzt, die man unterzeichnen kann:

https://www.stopwatching.de

Wir Piraten fordern daher die Europäische Kommission auf, unverzüglich dieses Vertragsverletzungsverfahren gemäß des Artikels 258 AEUV wegen Verstoßes gegen Artikel 16 AEUV (Grundrecht auf Datenschutz) gegen den EU-Mitgliedstaat Großbritannien zu eröffnen! Desweiteren fordere ich die EU auf, eine EU-Instanz zu schaffen, vergleichbar mit dem Internationalen Strafgerichtshof, welche Verstöße öffentlich macht und gegebenfalls ahnden kann. Europa muss in der aktuellen Debatte selbstbewusster auftreten und mehr Druck ausüben. Wir sind ein großer Kontinent und nicht der 51. Bundesstaat der USA!

Keine noch so harmlose E-Mail, kein Chat, kein Handygespräch sind im Zweifel sicher vor dem Zugriff der Behörden – das Bewusstsein bricht sich dafür seit Wochen Bahn, zum Beispiel in Twitter-Witzeleien, in denen morgens etwa die Mithörer von BND und NSA begrüßt werden. Letztens erzählte mir jemand, der häufig in die USA reisen muss, er vermeide im Netz Statements pro Manning. Heute haben zwei Leute mir persönlich gesagt, dass sie nicht an den Demos gegen Überwachung teilnehmen, weil sie demnächst in die USA reisen wollen. Hallo?

Es herrscht ein Klima der Angst. Ich fürchte, dass Menschen, Firmen und Regierungen, vor allem in Europa, den Glauben an das Internet verlieren und sein Wachstum verlangsamen, wenn nicht sogar stoppen wollen. Die Fragen des Datenschutzes sind globaler Natur und können nur global gelöst werden. Der Internationale Strafgerichtshof wartet nur darauf, dass er mehr Macht bekommt. Wir müssen ihm diese Macht geben! Aber diese Macht müssen wir dadurch erreichen, indem wir die UN stärken. Wir können als Bürger in die Parlamente gehen und durch Ratifizierung und Anerkennung weltweiter Verträge ein Signal in die Welt senden. Wir brauchen eine weltweit anerkannte Kontrollinstanz, die so mächtig ist, dass einzelne Staaten keine Chance mehr haben!

Wir brauchen ein international garantiertes Recht auf Datenschutz. Wir brauchen ein UN-Datenschutzabkommen. Der Mensch kann sich selbst belügen, aber die Wahrheit verschwindet dadurch nicht. Unsere momentanen sogenannten Grundrechte sind eine Farce! Lasst sie uns zurückholen!

Wir sind die Bürger von Neuland!

Hier das Video in voller Länge (mit herzlichem Dank an Patrick Pluschok und die Aachener Piraten!)

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