Meine Rede auf der Demo gegen „DüGiDa“ am 8. Dezember 2014 in Düsseldorf:
Ihr tollen, weltoffenen, toleranten und gläubigen oder auch nicht-gläubigen Menschen, die Ihr heute hier zu dieser Gegendemo hergefunden habt und friedlich in der Kälte steht, um ein Zeichen zu setzen. Ich freue mich, Euch so zahlreich zu sehen! Ihr setzt ein tolles Zeichen für die Vielfalt und Toleranz in Düsseldorf!
Für mich persönlich ist dies ein wichtiges und wesentliches Zeichen für das Zusammenleben in unserer Gesellschaft. Unsere Geschichte, unsere Demokratie, unsere Kultur und unser Verständnis des gemeinsamen Miteinanders lehren uns täglich, wie wichtig es ist, einander wertzuschätzen, einander zu unterstützen und uns solidarisch mit denen zu zeigen, die ausgegrenzt werden oder gegen die, wie in diesem Falle, gehetzt wird.

Deswegen bin ich hier. So bin ich von meinen Erlebnissen geprägt worden. Und das möchte ich gerne an meine Kinder, meine Freunde und die Menschen in meiner Umgebung weitergeben. Ich stelle mich schützend vor alle religiösen Menschen, egal welcher Religion sie angehören. Religion ist privat und darf nicht als Vorwand für Ausgrenzung benutzt werden. Ausgrenzung und Hetze sind nicht duldbar! Damit hat Deutschland schon einmal schlimme Erfahrungen gemacht. Nie wieder!
Zunächst etwas zu meiner Person. Mein Name ist Patrick Schiffer und ich bin der Vorsitzende der Piratenpartei Nordrhein Westfalen. Ich wurde vor ungefähr 40 Jahren in Belgien geboren, habe von 1981 bis 1986 mit meinen Eltern und 3 Geschwistern in Alexandria in Ägypten gelebt und zu guter Letzt in Maastricht in den Niederlanden studiert und gelebt. Ich bin zwar katholisch getauft, mittlerweile aber Atheist. Und mit einem kleinen Wink an die CSU: bei mir zuhause werden ALLE Sprachen gesprochen! Ohne Ausnahme.
In der Zeit in Ägypten habe ich sehr viele Muslime und Menschen anderen Glaubens kennengelernt. Arabische und teilweise sehr religiöse Menschen, die die gleichen Werte lebten wie Du und ich. Alle waren weltoffene und neugierige Menschen, die die Einflüsse von Europa in ihrem Land begrüssten und herzlichst willkommen hiessen. Ich fühlte mich dort angenommen, aufgenommen und Teil einer grossen Familie.
Die Armut, die ich dort erlebt habe, war unvorstellbar gross. Und dennoch haben die Menschen dort etwas von den wenigen Dingen abgegeben, die sie in ihrer Not hatten. Ich war Ausländer und reich an Dingen, behütet und beschützt. Ich hatte alles! Ein kleiner Junge, der ein Taschengeld bekam, mit dem dort eine ärmliche Familie im Slum einen Monat auskommen musste.
Mir sind damals in den Achtzigern in Kairo und Alexandria, Luxor und Port el Sayed auf den Strassen Kinder in meinem Alter und jünger begegnet, die vor meiner Nase in den Mülltonnen gewühlt haben, um etwas Essbares zu finden. Der Blick meiner Eltern damals besagte nichts Gutes. Sie sagten zu mir: wenn wir ihnen jetzt etwas geben, werden sie es allen weiter erzählen. Und dann stehen morgen ganz viele Kinder vor unserer Tür und fragen nach etwas zu Essen. Dann haben wir ein Problem. Ich schluckte damals schwer. Meine Enttäuschung über soviel Hilflosigkeit kann ich heute noch nicht in Worte fassen.
Heute habe ich noch Kontakt zu vielen ehemaligen Mitschülerinnen aus Ägypten, die mir regelmässig über ihr Land und seine Umstände berichten. Ägypten hat die islamistischen Muslimbrüder überwunden, konnte sich aber nicht von der mafiösen Bande aus Staatspolizei, korrupten Beamten und Militär befreien. Und nicht nur Ägypten geht es so.
Im Laufe des arabischen Frühlings, den ich aktiv und intensiv als Aktivist und Unterstützer der Revoltierenden in Ägypten, Libyen und Bahrain begleitet habe, wurden einige Machthaber gestürzt. Aber leider hat es bis heute nur Tunesien einigermassen geschafft, sich aus der Umklammerung zu befreien.

Um zum Thema Islamisierung zu kommen: die Religion spielt in diesen Ländern natürlich eine grosse Rolle. Sie bedeutet Halt und soziales Miteinander, Solidarität und mentale Stütze. Wir kennen das hier auch in Form der Kirche und vieler christlicher Verbände, die sich ehrenamtlich um Kranke, Alte und Hilflose Menschen in der Gesellschaft kümmern. Und dabei spielt es keine Rolle, welcher Religion sie angehören.
Verständlicherweise spielt auch hier in Europa die Religion für muslimische Menschen eine mehr oder weniger grosse Rolle. Und ihre Bräuche sind uns manchmal fremd oder unverständlich. Aber das geht uns nichts an! Die Religion und ihre Ausübung sind ihre Privatsphäre.
Und ob 2 oder 3 Bärtige Männer in der Fussgängerzone ein paar Korane verteilen, sollte doch wirklich Niemanden stören. Meine 11-jährige Tochter hat neulich sogar einen mitgenommen, weil darauf so schöne goldene Schriftzeichen stehen. Und heutzutage gehört die Lektüre des Korans genauso wie die der Bibel zur Allgemeinbildung. Wir können die Konflikte zwischen den Religionen nur lösen, wenn wir sie verstehen. Dazu gehört auch, dass wir sie in ihrer Andersartigkeit akzeptieren und auch tolerieren. Nur so ist religionsübergreifender Dialog möglich. Hier in Düsseldorf und überall auf der Welt.
Und wo ich gerade bei unserer Stadt bin, hier mal ein paar Zahlen: In Düsseldorf leben Menschen aus 180 verschiedenen Nationen. Davon leben hier insgesamt 35,3% aller Personen mit Migrationshintergrund. 18,6% sind ausländische Mitbürger, d.h. die Hälfte der Menschen mit Migrationshintergrund besitzt die deutsche Staatsangehörigkeit.
Die grösste Gruppe der Migranten kommt aus Polen mit 15%, die zweitgrößte Gruppe sind Türken mit 10%, wovon ca. die Hälfte die deutsche Staatsangehörigkeit besitzt. 6% sind Marrokaner. 45% dieser Menschen leben hier seit 10 Jahren und länger. Das heisst, dass wir schon seit ganz langer Zeit eine Islamisierung durchmachen! Liebe Dügida, ihr seid viel zu spät dran! Das Abendland ist längst untergegangen.
Und wie sieht es mit der Religionszugehörigkeit in Düsseldorf aus? Von den ca. 600.000 Menschen in der Stadt sind ca. 200.000 katholisch, 120.000 evangelisch und der Rest, also 280.000 Menschen Anhänger anderer Religionen oder nicht gläubig. Ein klarer Fall. Das müssen alles Muslime sein. Das Abendland ist nicht nur untergegangen, wir leben mittlerweile im Orient. Wobei mir das angesichts der Temperaturen auch viel lieber wäre. Aber Scherz beiseite.
Die Warnung vor einer Islamisierung Europas findet sich regelmäßig in rechtspopulistischen Kreisen und wird mit nationalistischen Motiven und dem Beklagen drohender „Überfremdung“ und „Umvolkung“ verknüpft. In Antwerpen in Belgien beispielsweise stellten im Januar 2008 die Politiker Heinz-Christian Strache (Freiheitliche Partei Österreichs) und Filip Dewinter (Vlaams Belang) sowie Markus Beisicht von der Bürgerbewegung pro NRW eine „Europäische Städteallianz gegen Islamisierung“ vor. Ihre Forderungen umfassen unter anderem die Eintragung der Religionsgemeinschaft in jedem Reisepass und die Sammlung von Fingerabdrücken von „Personen mit islamischem Hintergrund“. Strache zeigte sich „entsetzt über den Islamisierungs- und Überfremdungsgrad“ Antwerpens und forderte einen sofortigen Einwanderungsstopp, da nur so „Europa jetzt noch vor dem drohenden Untergang“ zu retten sei.
Dazu kann ich nur sagen: richtig grosser Bullshit.
Wir alle hier haben es täglich in der Hand, solchen Populisten entgegenzutreten und ihre menschenverachtenden Sprüche aufzudecken und zu widerlegen. Ich rufe die Politiker aller Parteien in Düsseldorf und Nordrhein Westfalen dazu auf, gemeinsam daran zu arbeiten, mehr für Flüchtlinge, für Migration und Integration und damit für das Zusammenleben von uns allen in einer multireligiösen und vielfältigen Gemeinschaft zu tun. So wie es aussieht, haben die bisherigen Anstrengungen nicht gereicht. Wir müssen dem Rechtsruck in Europa etwas entgegensetzen!
Seid alle bunt, seid alle laut, kurzum: seid arabisch!
šukran! Ma’asalama!

Update: Der Kreuzzug besorgter Bürger floppte
Statt den angekündigten 2.000 Demonstranten fanden sich am 8.12. in den Abendstunden höchstens klägliche 400 Menschen vor dem Landtag ein, um “gegen die Islamisierung des Abendlandes” zu demonstrieren – immer noch 400 zu viel. Ein Großteil war durch die landesweite Mobilmachung rechter Parteien und Organisationen aus anderen Städten angereist, so dass man hier wirklich nicht von “besorgten Düsseldorfern” sprechen kann.
Was sich diese Menschen unter “Islamisierung” vorstellen, und ob sie Spuren davon in Düsseldorf entdecken konnten, ging aus den Redebeiträgen nicht hervor. Stattdessen versicherte Initiator und AfD-Mitglied Alexander Heumann den Anhängern, dass sie “das Volk”, “nicht rechts” und “die Guten” seien. Das abendlandrettende Fußvolk wurde aus der Menge heraus dazu aufgerufen, nicht mit der Presse zu sprechen und die nur geliehenen Deutschlandfahnen später zurückzugeben. “Haut der Presse auf die Fresse” wurde aus der marschierenden Menge skandiert.
Die Düsseldorfer Piraten, die die Gegendemo angestossen haben, waren zahlreich vor Ort. Mehr dazu hier.