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Green is the new Orange.
For me.

tl;dr

Ich bin zum Jahresende aus der Piratenpartei ausgetreten und werde in den kommenden Tagen Mitglied bei Bündnis 90/Die Grünen.

Long story long

Ich bin im März 2012 in die Piratenpartei eingetreten, weil ich bereits seit Jahren Sympathisant war, mir der neue unkonventionelle Politikansatz gefiel und ich die Hoffnung hatte, diese junge Partei könne ein wirksamer und einflussreicher Player für frische Ideen in der Netzpolitik, für neuartige Mitbestimmungsmöglichkeiten, für moderne soziale Lösungsansätze im Internetzeitalter und für den Schutz der digitalen Menschenrechte werden. Was ich in den letzten 5 Jahren fand, war so viel mehr als das. Aber auch viel weniger. Leider ist heute nicht mehr viel übrig von meiner damaligen Hoffnung.

Ich habe nach meinem Eintritt von Beginn an auf vielen Ebenen mit angepackt und bin bis Oktober letzten Jahres ohne Unterbrechung sehr aktiv gewesen (wenn mir das 2012 jemand erzählt hätte, ich hätte ihr/ihm den Vogel gezeigt):

Kreisvorstand Düsseldorf, Presseteam NRW, Landesvorsitz NRW (2013-2016), persönlicher Mitarbeiter bei einem Landtagsabgeordneten (Oliver Bayer), Zusammenarbeit mit der Landtagsfraktion NRW, kommunale Arbeit als sachkundiger Bürger im Schulausschuss Düsseldorf, Listen- und Direktkandidaturen für den Bundestag (2013 & 2017) und das Europaparlament (2014), unzählige Wahlkämpfe, Programmentwicklung in Arbeitskreisen (Land) und Arbeitsgruppen (Bund), Kontakte zu vielen tollen Personen in anderen Parteien bzw. NGOs/Verbänden, Orga für Landes-, Bundes- und internationale Parteitage, Vizevorsitz der PPI (international), Mitglied der belgischen & niederländischen Piratenpartei, Wahlkämpfe in Belgien, den Niederlanden und in Island, Redakteur der Pirate Times, Organisation von Demos, Aufbau der Servicegruppe Gestaltung, Moderation & Präsentationen auf Konferenzen, Mitarbeit in der Bundespresse, Wahlmann in der Bundesversammlung und Vorsitzender im Bundesvorstand. Ich habe die Piratenpartei einmal komplett durchgespielt, um es mal im Gamer-Jargon zu formulieren.

Und ich habe in dieser Zeit sehr viel lernen dürfen. Für die politischen Freundschaften und Debatten, die persönlichen und besonderen Momente, die Vielzahl an Erfahrungen und auch die Enttäuschungen bin ich unglaublich dankbar. In dieser Zeit habe ich einige Freunde gewonnen, die ich nicht missen möchte. Alles in allem war es eine unglaublich lehrreiche, inspirierende und intensive Zeit, die ich seit meinem Ausscheiden aus dem letzten Bundesvorstand verarbeiten und reflektieren konnte.

Je ne regrette rien

Vieles ist über die Piratenpartei in den letzten Jahren geschrieben worden: journalistische und persönliche Dankesreden, wissenschaftliche und subjektive Analysen, vernichtende Abgesänge, Rants, usw. – viele überflüssige und schlecht recherchierte Artikel waren auch dabei. Stichwort “Delegierte”. Manches war gut, manches wurde ihr als Newcomer-Partei nicht einmal im Ansatz gerecht, aber einige Beschreibungen nannten auch mögliche Schlüssel zum Erfolg, zur Kehrtwende, zum Relaunch.

Letztere haben mich immer sehr interessiert, da ich aktiv daran mitarbeiten wollte, der Piratenpartei zum Erfolg und damit wieder zu mehr Einfluss auf allen politischen Ebenen zu verhelfen. Denn die Piraten haben in ihrer erfolgreichen Phase erstaunlich viele Dinge erreicht: eine Generation politisch mit aktiviert, das Thema Netzpolitik auf die politische Bühne gehoben und Themen wie z. B. Transparenz, das BGE und den fahrscheinfreien ÖPNV in den Diskurs gebracht, um nur ein paar Beispiele zu nennen.

Ich habe mit vielen Menschen ausserhalb der Partei gesprochen, um Lösungen zu finden: zum Beispiel mit Vitali Shkliarov (ehemaliger Wahlkampfberater von Bernie Sanders & Barack Obama), den ich vor dem Bundestagswahlkampf kontaktierte und mit dem ich ca. vier Stunden mitten in der Nacht per Skype über kreative Handlungsmöglichkeiten diskutierte. Das war interessant und auf höchstem Niveau, aber auch sehr desillusionierend. Denn es gab seiner Meinung nach kaum Optionen für ein erfolgreiches Abschneiden.

Ich wollte die Piratenpartei wieder in den Parlamenten sehen. Das ist mir, das ist der Partei leider nicht gelungen und ich habe die Hoffnung verloren, dass es erneut gelingt. Die Wahlergebnisse wurden von Wahl zu Wahl schlechter. Und ich konnte den Absturz in die Bedeutungslosigkeit nicht aufhalten, vielleicht an der einen oder anderen Stelle etwas bremsen. Ob es ohne meine Mitarbeit schlechter ausgesehen hätte, kann ich nicht beurteilen. Das sollen andere bewerten.

Wer meine Arbeit im Landesvorstand NRW und im Bundesvorstand verfolgt hat, weiß, dass meine Kraftanstrengung hoch war: Aktionen, Initiativen, Impulse und Überlegungen, wie die Piratenpartei auf den unterschiedlichsten Ebenen verbessert werden könnte, habe ich ein paar Male vorgelegt und angestossen, allein ihnen fehlte die nötige Umsetzungsmöglichkeit (Zeit, Personen, Geld), der Rückhalt oder mir fehlte vielleicht auch ein wenig die Überzeugungskraft.

Teilweise waren meine Vorschläge umstritten, manchmal grenzüberschreitend, aber nie destruktiv. Das Ergebnis zur Bundestagswahl war dennoch vernichtend und für mich der Moment eines Rückblicks, einer Analyse und der Zeitpunkt, mir die Frage zu stellen, ob ich so weitermachen kann wie bisher. Dieser Artikel soll weder ein Nachtreten, noch ein weiterer Abgesang auf die Piratenpartei sein, sondern einerseits meine Dankbarkeit ausdrücken und meine persönlichen Gründe darstellen, warum ich nach dieser intensiven Zeit zu den Grünen gehe.

Zu den Grünen? OMG!

Ich besitze großen Gestaltungswillen, in Deutschland und Europa politisch etwas zu bewegen. Unter anderem seit meinen Erlebnissen im arabischen Frühling, den ich sehr intensiv über das Netz begleitet und unterstützt habe, ist mir immer bewusster geworden, was in Deutschland und Europa alles schiefläuft, wie z. B. die ungelöste Frage der gemeinsamen europäischen Asylpolitik unter Einhaltung höchster menschenrechtlicher Ansprüche, um nur ein Beispiel zu nennen. Nur wer seine Einflussmöglichkeiten ausbaut, kennt und nutzt, erreicht Vereinbarungen und hat Verbündete. Ich brauche politisch agierende, pragmatisch denkende und kompromissbereite Verbündete. Menschen, die sich ähnlich vehement für die Sache einsetzen wie ich, die sich mit den rasanten Entwicklungen in der Welt weiterentwickeln wollen und mit ihrem Engagement den Erfolg in den Parlamenten suchen. Für eine bessere Welt im Morgen.

Was mir an den Grünen besonders gut gefällt, ist der unbedingte Wille zur Gestaltung. Mich haben die Auftritte der politisch Verantwortlichen während der Sondierungsgespräche nach der Bundestagswahl beeindruckt. Sie wollen ihren Einfluss nutzen und gestalten. Viele Menschen werfen den Grünen vor, dass sie durch Koalitionen mit SPD, Linken, FDP und CDU beliebig geworden sind, in Teilen ihre Ideale verraten haben, ja sogar machtgierig sind. Das sehe ich nicht so.

Mit ihren Alleinstellungsmerkmalen, den klassischen grünen Kernthemen und ihrer hohen Kompetenz in Sachen Umwelt- und Energiepolitik und ebenfalls guten Leuten für die mir wichtigen Themen Soziales, Netzpolitik, Menschenrechte und Europapolitik haben sie in den letzten Jahren bewiesen, daß sie ihren Einfluss nutzen und etwas bewirken können. Nicht immer perfekt, es war auch nur selten der große Durchbruch dabei, aber wenigstens in kleinen Schritten, und das zählt für mich persönlich. Und es ist mehr, als andere Parteien im für mich interessanten, linksliberalen Spektrum erreicht haben.

Alles ist Netzpolitik

Vor ca. 10 Jahren war Netzpolitik noch eine Nische und wurde bis vor ein paar Jahren gesondert von anderen Fragestellungen behandelt. Mittlerweile zeichnet sich aber mehr und mehr ab, dass die zunehmende gesellschaftliche, wirtschaftliche und rechtliche Verflechtung der digitalen und analogen Welt, die rasante Geschwindigkeit der Technologisierung, der Globalisierung und viele weitere Faktoren zu dem Schluss führen, dass jede politische Fragestellung früher oder später auch mit netzpolitischen Faktoren zusammenhängt und vor diesem Hintergrund gelöst werden muss. Netzpolitik ist Gesellschaftspolitik. Und umgekehrt. Das heißt zwangsläufig, dass man beides nicht länger getrennt voneinander behandeln darf. Diese Sichtweise möchte ich den Grünen näherbringen und ich vermute, ich stoße bei ihnen auf offene Ohren. Und natürlich hoffe ich darauf, viel Neues zu entdecken und zu lernen.

Die Grünen haben sympathische Leute, besetzen sachkundig meine Themen und stoßen gute Initiativen an. Ihr Umgang mit Frauenrechten in Relation zu allgemeinen Grundrechten gefällt mir, auch mit der Quote kann ich durchaus leben. In anderen politischen Bereichen liege ich mit meinen Ansichten größtenteils auf einer Linie mit ihrer Programmatik. Die heftigen Flügelkämpfe scheinen fast überwunden, der Umgang untereinander ist geprägt von Empowerment, Diversität und Zusammenhalt. Aus direkten Gesprächen mit Mitgliedern des Bundesvorstands weiß ich, dass in Sachen Online-Partizipation an unterschiedlichen Lösungen gearbeitet wird und die Partei sich im Umgang mit digitalen Fragen längst weiterentwickelt hat.

In meinem Entschluß bin ich nicht alleine. Uwe Stein, mit dem mich eine langjährige politische und persönliche Freundschaft verbindet, hat mich in meiner Entscheidung nicht nur bestärkt, sondern wird diesen nächsten Schritt auch gemeinsam mit mir gehen. So wird auch er seine Erfahrungen in der Partei-, Öffentlichkeits- und Fraktionsarbeit im neuen Umfeld entwickeln und einbringen können.

Ich danke allen Piraten und politisch aktiven Menschen, die mich auf meinem bisherigen Weg unterstützt haben und mit denen ich konstruktiv zusammenarbeiten durfte. Ich lade euch ein, dies auch weiterhin zu tun. Ich freue mich jetzt auf meinen neuen politischen Lebensabschnitt und bin gespannt, was die Zukunft bringt.

5 Gedanken zu „Green is the new Orange.
For me.“

  1. Na dann erst mal „Herzlich Willkommen“

    Insbesondere die Analyse, dass Gestaltungswille und Kompromissbereitschaft nicht gleich Beliebigkeit sind fand ich sehr gut.

    Kritische Stimmen von links können wir gut gebrauchen – und während leider ansonsten der Trend zur Zersplitterung geht (wir hier in Bayern haben gerade eine neue Partei, die m.E. keine Chance auf die 5%-Hürde hat) finde ich es toll, wenn man sich zusammentut um eine „kraftvolle“ Stimme im Parlament zu haben.

  2. Wenn jemand nach einer verloren Wahl um ein Amt geht würde ich mich freuen zu hören ob es ihm nicht um das Amt, sondern die Grundidee der Piraten ging.
    Ich versuche den Prozess der Piraten auch als ein “ gesundschrumpfen“ zu verstehen – also alle die mehr wegen eines Jobs da waren werden jetzt gehen.
    Ich will nicht sagen, dass du dazu gehörst, aber einen Kommentar der über “ macts gut “ hinaus geht fände ich schon gut.
    In deinem text finde im wesentlichen : ………“ Ich wollte die Piratenpartei wieder in den Parlamenten sehen. Das ist mir, das ist der Partei leider nicht gelungen und ich habe die Hoffnung verloren, dass es erneut gelingt. “ …….
    hm das geht vielleicht etwas direkter ich finde wir Piraten sollten schon auch einstecken können – wir teilen ja auch aus

  3. Pingback: Froschs Blog: » Im Netz aufgefischt #350

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