Disclaimer: ich habe die GdL schon unterstützt, als sie noch kaum keiner kannte (Seite 2) – und bevor ihr meinen Blogpost lest, empfehle ich euch diesen Text. Der untenstehende Blogpost wurde vorher bereits auf www.piratenpartei.de veröffentlicht.
Seit Mittwoch Nacht um zwei Uhr streikte also die Lokführergewerkschaft GdL erneut. Zum 9. Mal mit den gleichen Forderungen. Das Ende des Streiks wurde nach den gestrigen Verhandlungen zwischen GdL und deutscher Bahn für gestern Abend angekündigt. Aber warum gab es diesen Streik überhaupt? Und warum wird heute ein Tarifeinheitsgesetz beschlossen, was sich in die Reihe der Gesetze einreihen wird, welche vom Bundesverfassungsgericht wieder kassiert wird?
Ein Rückblick
Vorn angefangen: 22 Jahre ist es nun her. 1993 setzte die damalige Bundesregierung aus CDU, CSU und FDP unter Bundeskanzler Helmut Kohl die Privatisierung der Bahn durch. Da war ich 20 Jahre alt. Manche von Euch erinnern sich vielleicht an das große Versprechen vom damaligen Bundeskanzler Helmut Kohl: blühende Bahnlinien – äh, Pardon – Landschaften natürlich. Besserer Service für die Kunden, Entlastung der Steuerzahler, mehr Verkehr auf die Schiene, mehr Wettbewerb. Machte Eindruck.
Und der Service?
Der Service für die Kunden wurde massiv verschlechtert. Die Fahrpreise stiegen allein seit 2001 (da war ich 28 Jahre alt) um 40 Prozent, preisbereinigt um rund 20 Prozent. Die systemische Unpünktlichkeit wird regelmäßig mit statistischen Tricks beschönigt. Macht ja nix.
Und die Steuerzahler?
Der Staat subventioniert seinen Privatkonzern jährlich mit gut 10 Milliarden Euro an Steuergeldern. Diese werden jedoch nicht in den Erhalt und die Modernisierung des Schienennetzes gesteckt. Stattdessen wird in Aufkäufe von Bahn- und Bus-Unternehmen und Lkw-Speditionen »investiert«. Mal von Stuttgart 21 ganz zu schweigen. Protzbauten mit Image-Faktoren werden dem Erhalt und Ausbau des angeschlagenenÖPNV und Regionalverkehr vorgezogen. Macht anscheinend alles überhaupt nichts.
Und die Beschäftigten?
Bis 2014 wurde von den ehemals 374.000 Arbeitnehmern etwa 187.000, also die Hälfte, entlassen. Die Löhne und Gehälter des Grossteils der Angestellten der DB stagnierten. Dagegen stiegen die Gehälter und Boni der Manager und Vorstände immer schneller. Bahnchef Rüdiger Grube verdient heute 2,6 Millionen Euro im Jahr. Für das Jahreseinkommen eines Lokführers muss er nur vier Tage arbeiten. Interessant auch, welche Interessen im Aufsichtsrat der Deutschen Bahn AG personell so alles Vertreten sind. Fakt ist: in den Tariftabellen der deutschen Bahn tauchen die Managergehälter nicht auf. Macht Euch mal schlau!
Und die Deutsche Bahn AG?
100 Prozent der Aktien der Deutschen Bahn AG gehören dem Staat. Dabei agiert die DB, obwohl noch im staatlichen Eigentum, wie ein globaler Privatkonzern. Eigentlich müsste Verkehrsminister Dobrindt sich nur mit sich selbst an einen Tisch setzen und die Forderungen der GdL akzeptieren. Dann wäre das Problem gelöst. Macht er aber nicht.
Und Nahles (SPD)?
Die geht noch einen Schritt weiter und will die Tarifeinheit durch ein neues Gesetzerzwingen und damit das Grundrecht auf Tarifpluralität aushebeln, welches heute um ca. 10 Uhr im Bundestag namentlich abgestimmt wird. Sie nennt es beschönigend: »Sicherung der Funktionsfähigkeit der Tarifautonomie«. Geplant wird vielmehr die Einschränkung des Streikrechts und damit einen Einschnitt in die verfassungsmäßig garantierte Koalitionsfreiheit, die Grundlage zur Bildung von Gewerkschaften. Zitat aus dem Gesetzentwurf:
»Soweit sich die Geltungsbereiche nicht inhaltsgleicher Tarifverträge verschiedener Gewerkschaften überschneiden (kollidierende Tarifverträge), sind im Betrieb nur die Rechtsnormen des Tarifvertrags derjenigen Gewerkschaft anwendbar, die zum Zeitpunkt des Abschlusses des zuletzt abgeschlossenen kollidierenden Tarifvertrags im Betrieb die meisten in einem Arbeitsverhältnis stehenden Mitglieder hat.«
Damit wird es zukünftig einer Gewerkschaft, die »in einem Betrieb« nicht die »Mehrheitsgewerkschaft« ist, unmöglich gemacht werden, für ihre Mitgliedschaft im gleichen Betrieb Tarifverträge abzuschließen und dafür gegebenenfalls mit Streik zu kämpfen.
Provokativ gefragt: Will die Bundesregierung zurück zur Einheitsgewerkschaft der DDR? Das Ziel ist klar: mehr Konzentration von Macht und Kontrolle.
Anmerkung: ich werde gegen das Gesetz klagen. Wer mitmachen will: so eine Verfassungsbeschwerde ist teuer. Meldet Euch bei mir.
Und das Grundgesetz?
Artikel 9
(1) Alle Deutschen haben das Recht, Vereine und Gesellschaften zu bilden.
(2) Vereinigungen, deren Zwecke oder deren Tätigkeit den Strafgesetzen zuwiderlaufen oder die sich gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder gegen den Gedanken der Völkerverständigung richten, sind verboten.
(3) Das Recht, zur Wahrung und Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen Vereinigungen zu bilden, ist für jedermann und für alle Berufe gewährleistet. Abreden, die dieses Recht einschränken oder zu behindern suchen, sind nichtig, hierauf gerichtete Maßnahmen sind rechtswidrig. Maßnahmen nach den Artikeln 12a, 35 Abs. 2 und 3, Artikel 87a Abs. 4 und Artikel 91 dürfen sich nicht gegen Arbeitskämpfe richten, die zur Wahrung und Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen von Vereinigungen im Sinne des Satzes 1 geführt werden.
Und der DGB?
Der forderte plötzlich Einigkeit und Geschlossenheit, um Konkurrenz zu vermeiden. Obwohl der DGB gemeinsam mit seinen Gewerkschaften und der SPD ausgerechnet die Maßnahmen mitgestützt haben, die in den Betrieben seit 15 Jahren die Konkurrenz systematisch angeheizt haben: mit den Hartz-IV-Gesetzen, die den Niedriglohnsektor entstehen ließen, mit verbesserten Möglichkeiten, Betriebe aufzuteilen und Outsourcing zu betreiben und mit der Verallgemeinerung der Leiharbeit. Macht doch alles keinen Sinn.
Und der Streit?
Als überaus strittig hat sich in den Verhandlungen zwischen Bahn und GdL die Einstufung der Lokrangierführer erwiesen. Die GdL verlangte, dass diese wie Streckenlokführer entlohnt werden, da sie häufig als solche eingesetzt würden. Das lehnte die Bahn ab. Die GdL erkannte darin den Versuch, die Lokführer zu spalten. Zu Recht, wie ich finde. Als verantwortungsvolles Unternehmen – auch im Sinne des staatlichen Auftrags – könnte die Bahn ja einfach mal die Weichen neu stellen und zwischen den beiden Gewerkschaften vermitteln, oder? Machte sie aber nicht.
Und die Medien?
Die Zeitung mit den vier Buchstaben zitiere ich nicht. Nur so viel: Hass, Lügen und Hetzerei. Wer nicht mitspielt im System, bekommt die volle Breitseite. Bis irgendwas passiert. Dann will es wieder niemand gewesen sein.
DER SPIEGEL bringt es ganz gut auf den Punkt:
»Konsens statt Konfrontation – diese Formel ist zum Betriebssystem für das Erfolgsmodell Deutschland geworden. Darin spiegelt sich der tief sitzende Wunsch unserer Gesellschaft wider, dass alles, selbst der Konflikt, funktional zu sein hat. Selbst ein Streik soll bitteschön Regeln folgen und fahrplanmäßig sein Verhandlungsziel erreichen.«
Macht Euch ein eigenes »Bild«.
Und die Gewerkschaft der Lokführer (GdL)?
Claus Weselsky, der Inbegriff des Bösen und Vertreter der GdL, forderte, außer einer Lohnerhöhung um fünf Prozent, auch eine Verkürzung der Arbeitszeit um zwei Stunden. Das ist ein Novum in der jüngeren Geschichte gewerkschaftlicher Auseinandersetzungen. Dass sie sich deshalb zur Zielscheibe neoliberaler Medien und Politik machte, ist nicht verwunderlich. Ich finde es allerdings höchst bemerkenswert, dass die SPD und die DGB-Führung meinen, in das gleiche Horn wie CDU und Deutsche Bahn stoßen zu müssen. Dabei ist die Forderung nach Verkürzung der Arbeitszeit doch eine gelungene Antwort auf die steigenden Arbeitslosenzahlen. Macht Sinn.
Und Claus Weselsky?
Bleibt hoffentlich weiterhin standhaft. Egal, was noch passiert.
Fazit
Ich habe den Arbeitskampf der GdL unterstützt und werde ihn weiter unterstützen, weil wir wehrhafte Gewerkschaften brauchen. Streikrecht, Tarifpluralität und Demokratie sind unsere Grundrechte, für die wir kämpfen müssen. Und letztlich bedeutet dies im Erfolgsfall mehr Macht für die Arbeitnehmer. Und das ist gut so.